Samstag, 29. Juli 2023

Lieblingsgedichte der Deutschen im Jahr 2000

 Piper Verlag

Die Lieblingsgedichte der Deutschen nach einer Hörerumfrage des Westdeutschen Rundfunks aus dem Jahr 2000. Natürlich sind es nur die Lieblingsgedichte der Hörer, die bei dieser Umfrage mitgemacht haben, also die von literarisch Interessierten, die Gedichte mögen.

Bob Dylan-Fans werden dabei nicht in großem Umfang teilgenommen haben.

Naheliegenderweise ist Erich Kästners Berlin in Zahlen* nicht dabei, obwohl ich es dem einen oder anderen der unten genannten vorziehen würde.

1. Hermann Hesse: Stufen

 Wie jede Blüte welkt und jede Jugend 
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe, 
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend 
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern. 
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe 
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne, 
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern 
In andre, neue Bindungen zu geben. 
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, 
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben. 

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, 
An keinem wie an einer Heimat hängen, 
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, 
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten. 
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise 
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen; 
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, 
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde 
Uns neuen Räumen jung entgegen senden, 
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden, 
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

2. Joseph von Eichendorff: Mondnacht

Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müsst.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.

3. Rainer Maria Rilke: Herbsttag
4. Theodor Fontane: Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland
5. Rainer Maria Rilke: Der Panther
6. Friedrich Schiller: Die Bürgschaft
7. Erich Fried: Was es ist
8. Eduard Mörike: Er ist's
10. Johann Wolfgang Goethe: Der Zauberlehrling
11. Friedrich Hölderlin: Hälfte des Lebens
12. Rainer Maria Rilke: Herbst
13. Matthias Claudius: Abendlied
14. Johann Wolfgang Goethe: An den Mond
15. Johann Wolfgang Goethe: Erlkönig
16. Paul Celan: Todesfuge
17. Joseph von Eichendorff: Wünschelrute
18. Erich Kästner: Der Mai
19. Johann Wolfgang Goethe: Wandrers Nachtlied II
20. Eduard Mörike: Um Mitternacht
21. Johann Wolfgang Goethe: Prometheus
22. Friedrich Hebbel: Herbstbild
23. Friedrich Schiller: Das Lied von der Glocke
24. Otto Ernst: Nis Randers
25. Theodor Fontane: John Maynard
26. Hermann Hesse: Im Nebel
27. Ludwig Uhland: Frühlingsglaube
28. Johann Wolfgang Goethe: Gesang der Geister über den Wassern
29. Theodor Storm: Abseits
30. Hans Carossa: Der alte Brunnen
31. Rainer Maria Rilke: Ich lebe mein Leben
32. Wilhelm Lehmann: Atemholen
33. Joachim Ringelnatz: Die Ameisen
34. Erich Kästner: Sachliche Romanze
35. Anonym: Du bist mîn, ich bin dîn
36. Heinz Erhardt: Die Made
37. Jakob van Hoddis: Weltende
38. Ina Seidel: Trost
39. Gottfried Benn: Nur zwei Dinge
40. Berthold Brecht: Erinnerung an die Marie A.
41. Hilde Domin: Nicht müde werden
42. Annette von Droste-Hülshoff: Der Knabe im Moor
43. Joseph von Eichendorff: Sehnsucht
44. Paul Fleming: An sich
45. Johann Wolfgang Goethe: Gefunden
46. Johann Wolfgang Goethe: Mailied
47. Hugo von Hofmannsthal: Vorfrühling
48. Hugo von Hofmannsthal: Die Beiden
49. Eduard Mörike: Im Frühling
50. Ingeborg Bachmann: Die gestundete Zeit
51. Berthold Brecht: An die Nachgeborenen
52. Wilhelm Busch: Selbstkritik
53. Annette von Droste Hülshoff: Am Turme
54. Marie von Ebner-Eschenbach: Ein kleines Lied
55. Andreas Gryphius: Betrachtung der Zeit
56. Kurt Tucholsky: Augen in der Groß-Stadt
57. Eduard Mörike: Gebet
58. August von Platen: Das Grab im Busento
59. Rainer Maria Rilke: Liebes-Lied
60. Joachim Ringelnatz: Ich hab dich so liebe
61. Ludwig Uhland: Des Sängers Fluch
62. Dietrich Bonhoeffer: Von guten Mächten wunderbar geborgen
63. Wilhelm Busch: Ein dicker Sack
64. Adelbert von Chassimo: Das Riesen-Spielzeug
65. Johann Wolfgang Goethe: Willkommen und Abschied
66. Friedrich Hebbel: Sommerbild
67. Johann Gottfried Herder: Ein Traum
68. Else Lasker-Schüler: Ein alter Tibetteppich
69. Christian Morgenstern: Das ästhetische Wiesel
70. Rainer Maria Rilke: Blaue Hortensie
71. Joachim Ringelnatz: Im Park
72. Gottfried Benn: Astern
73. Eduard Mörike: Septembermorgen
74. Anonym: Dunkel war's, der Mond schien helle
75. Gottfried Benn: Reisen
76. Berthold Brecht: Die Liebenden
77. Matthias Claudius: Die Sternseherin Lise
78. Hilde Domin: Nur eine Rose als Stütze
79. Johann Wolfgang Goethe: Mignon
80. Johann Wolfgang Goethe: Wanders Lied I
81. Heinrich Heiner: Ein Jüngling liebt ein Mädchen
82. Heinrich Heine: Das Fräulein stand am Meere
83. Heinrich Heine: Im wunderschönen Monat Mai
84. Heinrich Heine: Leise zieht durch mein Gemüt
85. Herrmann Hesse: Beim Schlafengehen
86. Mascha Kaléko: Sozusagen grundlos vergnügt
87. Else Lasker-Schüler: Mein blaues Klavier
88. Christian Morgenstern: Der Lattenzaun
89. Börries von Münchhausen: Lederhosen-Saga
90. Rainer Maria Rilke: Advent
91. Joachim Ringelnatz: Arm Kräutchen
92. Eugen Roth: Ein Mensch
93. Gustav Schwab: Das Gewitter
94. Kurt Schwitters: An Anna Blume
95. Georg Trakl: Verklärter Herbst
96. Kurt Tucholsky: Ideal und Wirklichkeit
97. Walther von der Vogelweide: Ich saz ûf eime steine
98. Theodor Fontane: Die Brücke am Tay
99. Rose Ausländer: Nicht fertig werden
100. Joachim Ringelnatz: Überall
*Erich Kästner (1899-1974)

Berlin in Zahlen [1931]

Laßt uns Berlin statistisch erfassen!
Berlin ist eine ausführliche Stadt,
die 190 Krankenkassen
und 916 ha Friedhöfe hat.

53 000 Berliner sterben im Jahr,
und nur 43 000 kommen zur Welt.
Die Differenz bringt der Stadt aber keine Gefahr,
weil sie 60 000 Berliner durch Zuzug erhält.
Hurra!

Berlin besitzt ziemlich 900 Brücken
und verbraucht an Fleisch 303 000 000 Kilogramm.
Berlin hat pro Jahr rund 40 Morde, die glücken.
Und seine breiteste Straße heißt Kurfürstendamm.

Berlin hat jährlich 27 600 Unfälle.
Und 57 600 Bewohner verlassen Kirche und Glauben.
Berlin hat 606 Konkurse, reelle und unreelle,
und 700 000 Hühner, Gänse und Tauben.


Berlin hat jährlich 27 600 Unfälle.
Und 57 600 Bewohner verlassen Kirche und Glauben.
Berlin hat 606 Konkurse, reelle und unreelle,
und 700 000 Hühner, Gänse und Tauben.
Halleluja!


Berlin hat 20 100 Schank- und Gaststätten,
6300 Ärzte und 8400 Damenschneider
und 117 000 Familien, die gern eine Wohnung hätten.
Aber sie haben keine. Leider.

Ob sich das Lesen solcher Zahlen auch lohnt?
Oder ob sie nicht aufschlußreich sind und nur scheinen?
Berlin wird von 4 500 000 Menschen bewohnt
Und nur, laut Statistik, von 32 600 Schweinen.
Wie meinen?

(zitiert nach: Berlin. 100 Gedichte aus 100 Jahren Aufbau Verlag 1987)


Montag, 24. Juli 2023

Franz Werfel: Lächeln, Atmen, Schreiten


                   Lächeln, Atmen, Schreiten 



Schöpfe du, trage du, halte


tausend Gewässer des Lächelns in deiner Hand!


Lächeln, selige Feuchte ist ausgespannt


all übers Antlitz.


Lächeln ist keine Falte,


Lächeln ist Wesen vom Licht.


Durch die Räume bricht Licht, doch ist es noch nicht.


Nicht die Sonne ist Licht,


erst im Menschengesicht


wird das Licht als Lächeln geboren.


Aus den tönenden, leicht, unsterblichen Toren,


aus den Toren der Augen wallte


Frühling zum erstenmal, Himmelsgischt,


Lächelns niederglühender Brand.


Im Regenbrand des Lächelns spüle die alte Hand,


schöpfe du, trage du, halte!



Lausche du, horche du, höre!


In der Nacht ist der Einklang des Atems los,


der Atem, die Eintracht des Busens groß,


Atem schwebt


über Feindschaft finsterer Chöre.


Atem ist Wesen vom höchsten Hauch.


Nicht der Wind, der sich taucht


in Weid', Wald und Strauch,


nicht das Wehn, vor dem die Blätter sich drehn ...


Gottes Hauch wird im Atem der Menschen geboren.


Aus den Lippen, den schweren,


verhangen, dunkel, unsterblichen Toren,


fährt Gottes Hauch, die Welt zu bekehren.


Auf dem Windmeer des Atems hebt an,


die Segel zu brüsten im Rausche,


der unendlichen Worte nächtlich beladener Kahn.


Horche du, höre du, lausche!



Sinke hin, knie hin, weine!


Sieh der Geliebten erdenlos schwindenden Schritt!


Schwinge dich hin, schwinde ins Schreiten mit!


Schreiten entführt


alles ins Reine, alles ins Allgemeine.


Schreiten ist mehr als Lauf und Gang,


der sternenden Sphäre Hinauf und Entlang,


mehr als des Raumes tanzender Überschwang.


Im Schreiten der Menschen wird die Bahn der Freiheit geboren.


Mit dem Schreiten der Menschen tritt


Gottes Anmut und Wandel aus allen Herzen und Toren.


Lächeln, Atem und Schritt


sind mehr als des Lichtes, des Windes, der Sterne Bahn,


die Welt fängt im Menschen an.


Im Lächeln, im Atem, im Schritt der Geliebten ertrinke!


Weine hin, knie hin, sinke!

(Franz Werfel)

Rezitation des Gedichts durch Franz Werfel (mp3)

Dienstag, 11. Juli 2023

M. Claudius: Kriegslied

 Kriegslied.


’s ist Krieg! ’s ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
     Und rede du darein!
’s ist leider Krieg – und ich begehre
     Nicht Schuld daran zu seyn!

5
Was sollt’ ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen,

     Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,
     Und vor mir weinten, was?

Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,

10
     Verstümmelt und halb todt

Im Staub sich vor mir wälzten, und mir fluchten
     In ihrer Todesnoth?

Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
     So glücklich vor dem Krieg,

15
Nun alle elend, alle arme Leute,

     Wehklagten über mich?

Wenn Hunger, böse Seuch’ und ihre Nöthen
     Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammelten, und mir zu Ehren krähten

20
     Von einer Leich’ herab?


Was hülf’ mir Kron’ und Land und Gold und Ehre?
     Die könnten mich nicht freun!
’s ist leider Krieg – und ich begehre
     Nicht Schuld daran zu seyn.

(Matthias Claudius)


"Der Gedanke einer Mitschuld scheint absurd, aber welche Mühe kostet es, ihn niederzuhalten! Und zuletzt drückt er eben doch noch durch, langsam, wie das schwarze Blut durch einen festen Verband. Der Dichter wagt es nicht,, vor Gott und der Welt feierlich zu erklären, er sei unschuldig; er kann nur merkwürdig stockend sagen, er möchte nicht schuldig sein.

Damit zieht er die dunkle Konsequenz aus einer triumphalen Erkenntnis des Jahrhunderts: dass die Menschheit ein Ganzes sei, verschwistert alle zusammen und miteinander auf dem Weg ins beßre Land. Wenn das stimmt, dann kann man sich auch aus der Schuld der andern nicht einfach wegstehlen. 'Alle Menschen werden Brüder', jubelt es in diesen Jahren. Ja, sagt Claudius dazu, auf Tod und Leben. Wer könnte ihm heute widersprechen?" (Peter von Matt)

"Das Gedicht entstand 1778, zu Beginn des Bayerischen  Erbfolgekrieges zwischen    Österreich  und dem mit  Sachsen und  Russland verbündeten  Preussen, der am 3. Juli 1778 erklärt wurde. Am 5. Juli 1778 marschierten die Preussen in Böhmen ein; am 13. Mai 1779 wurde der Krieg diplomatisch mit dem Frieden von Teschen beendet. Im Juli 1778 war das glimpfliche Ende noch nicht abzusehen.[...]" (Wikipedia)

Weitere Materialien zur Analyse (norberto42)

Wann folgt ein glimpfliches Ende?

Sonntag, 9. Juli 2023

Verlaine und Rimbaud

Les sanglots longs

Des violons
De l'automne
Blessent mon coeur
D'une langueur
Monotone.

Tout suffocant
Et blême, quand
Sonne l'heure,
Je me souviens
Des jours anciens
Et je pleure.

Et je m'en vais
Au vent mauvais
Qui m'emporte

Deçà, delà,
Pareil à la
Feuille morte.

(Paul Verlaine)

Klang und Stimmung. Das Wortgespinst in seiner Ganzheit von Form und Gehalt ging nie in mich ein. Dass ich das Gedicht auswendig konnte, ist lange her - wenn ich es überhaupt einmal auswendig konnte. Aber es hat mich mehr berührt als andere Gedichte, die ich besser verstanden habe.

Als Verständnishilfe eine möglichst wortgetreue Übersetzung ohne jeglichen poetischen Anspruch:

Die langen Schluchzer
der Geigen
des Herbstes
verwunden mein Herz
mit einer eintönigen Mattigkeit

Ganz erstickt
und blass, wenn
die Stunde schlägt
erinnere ich mich
der alten Tage
und ich weine.

Und ich gehe weg
Im kalten Wind,
der mich hinweg trägt

nach dieser Seite, nach jener
ganz wie
ein totes Blatt.


Sensation


Par les soirs bleus d’été, j’irai dans les sentiers,
Picoté par les blés, fouler l’herbe menue :
Rêveur, j’en sentirai la fraîcheur à mes pieds.
Je laisserai le vent baigner ma tête nue.

Je ne parlerai pas, je ne penserai rien :
Mais l’amour infini me montera dans l’âme,
Et j’irai loin, bien loin, comme un bohémien,
Par la Nature, — heureux comme avec une femme.

(Arthur Rimbaud)


"Sie waren das berühmteste männliche Liebespaar der Literaturgeschichte [...]

„Ich bin entfremdet, entwurzelt, wütend, dumm, umgekippt. Ich hoffte auf Sonne, unendliches Wandern, Reisen, Abenteuer, Bohème-Leben.“ Auf dem Platz vor dem Bahnhof steht eine Skulptur von Rimbaud, umgeben von Tafeln im Asphalt mit Auszügen aus seinen Gedichten. Dass man diesen Ort für eine Hommage ausgewählt hat, kommt nicht von ungefähr. Denn hier bestieg Rimbaud als Sechzehnjähriger den Zug, um sich heimlich in Richtung Paris aufzumachen. Es war die erste seiner vielen Fluchten und brachte ihm, da ohne Fahrschein unterwegs, gleich eine Festnahme und eine Geldstrafe ein.

Eine Ironie der Geschichte

Das Musée Arthur Rimbaud ist in einem der prachtvollsten Gebäude von Charleville-Mézières untergebracht. Die alte Mühle am Ufer der Maas, die mit ihren barocken Säulen eher an ein kleines Schloss erinnert, wurde 1626 von Prinz Charles de Gonzague, dem einflussreichen Neffen König Heinrichs IV., errichtet, der die nach seinem Vornamen benannte Stadt zu einem fortschrittlichen Handelszentrum ausbauen wollte. Als Krönung seiner urbanen Visionen gilt die Place Ducale, die mit ihren ockerfarbenen Pavillons und weiten Arkadengängen eine maßstabgetreue Kopie der berühmten Place des Vosges in Paris ist. [...]

Es wird dokumentiert, wie Rimbaud zu einer Art Popstar der Literatur wurde, obwohl er seiner rebellischen Dichtkunst lediglich fünf Jahre seines Lebens widmete. Gezeigt werden Werke von berühmten Künstlern, die dem literarischen Umstürzler gehuldigt haben. Pa­blo Picasso, Alberto Giacometti und Fernand Léger haben sein trotziges Gesicht skizziert, Jean Cocteau hat sein berühmtestes Werk „Le Bateau ivre“ (Das trunkene Schiff) mit Wellen und Fischen illustriert. Und an den Wänden stehen in großen Lettern einige von Rimbauds surrealistischen Kernsätze, etwa „Je est un autre“ (Ich ist ein anderer) oder „L’ennui n’est plus mon amour“ (Langeweile ist nicht mehr meine Liebe).

Auf dem Bürgersteig vor dem Museum hat man „chaise-poèmes“ installiert, Stühle mit Versen des Dichters – sich mit dem Hintern auf Poesie setzen, das hätte dem Provokateur Rimbaud gefallen. Auf der anderen Straßenseite steht das Haus, in dem die Familie Rimbaud, die wegen dauernder Streitigkeiten mit den Nachbarn oft umgezogen ist, von 1869 bis 1875 lebte. Diese Maison des Ailleurs, das Haus von Anderswo, ist den rastlosen Reisen Rimbauds gewidmet. Geräuscheffekte lassen das Tuten der Schiffe in den Häfen erklingen, das Feilschen auf orientalischen Märkten, das Getrampel von Kamelkarawanen. Die Besucher gehen auf Holzböden, auf denen man Karten gezeichnet hat, die die fluchtartige Odyssee des „Mannes mit den Windsohlen“ dokumentieren.

Nachdem Paul Verlaine 1873 in Brüssel nach durchzechter Nacht auf seinen Liebhaber geschossen, ihn leicht am Handgelenk verletzte hatte und dafür zwei Jahre lang in ein belgisches Gefängnis musste, war die tumultuöse Beziehung zu Ende. Genauso radikal machte Rimbaud daraufhin Schluss mit der Literatur und veröffentlichte nie mehr ein Werk. Dafür drängte es ihn fort von der Heimat. Er ging zu Fuß über den Gotthard nach Italien, wurde Söldner in der niederländischen Kolonialarmee auf Java, wo er bald desertierte, zog als Hilfskraft mit einem Wanderzirkus durch Skandinavien, beaufsichtigte einen Steinbruch in Zypern, handelte mit Kaffee, Tierhäuten, Parfums und Waffen in Äthiopien, Somalia und im Jemen. [...]"

https://www.faz.net/aktuell/reise/arthur-rimbaud-und-paul-verlaine-in-ardennen-schwul-wild-und-genial-19009944.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2 FAZ 7.7.23

Conrad Ferdinand Meyer: Die Füße im Feuer

  Wild zuckt der Blitz. In fahlem Lichte steht ein Turm.  Der Donner rollt. Ein Reiter kämpft mit seinem Roß,  Springt ab und pocht ans Tor ...