Sonntag, 9. Juli 2023

Verlaine und Rimbaud

Les sanglots longs

Des violons
De l'automne
Blessent mon coeur
D'une langueur
Monotone.

Tout suffocant
Et blême, quand
Sonne l'heure,
Je me souviens
Des jours anciens
Et je pleure.

Et je m'en vais
Au vent mauvais
Qui m'emporte

Deçà, delà,
Pareil à la
Feuille morte.

(Paul Verlaine)

Klang und Stimmung. Das Wortgespinst in seiner Ganzheit von Form und Gehalt ging nie in mich ein. Dass ich das Gedicht auswendig konnte, ist lange her - wenn ich es überhaupt einmal auswendig konnte. Aber es hat mich mehr berührt als andere Gedichte, die ich besser verstanden habe.

Als Verständnishilfe eine möglichst wortgetreue Übersetzung ohne jeglichen poetischen Anspruch:

Die langen Schluchzer
der Geigen
des Herbstes
verwunden mein Herz
mit einer eintönigen Mattigkeit

Ganz erstickt
und blass, wenn
die Stunde schlägt
erinnere ich mich
der alten Tage
und ich weine.

Und ich gehe weg
Im kalten Wind,
der mich hinweg trägt

nach dieser Seite, nach jener
ganz wie
ein totes Blatt.


Sensation


Par les soirs bleus d’été, j’irai dans les sentiers,
Picoté par les blés, fouler l’herbe menue :
Rêveur, j’en sentirai la fraîcheur à mes pieds.
Je laisserai le vent baigner ma tête nue.

Je ne parlerai pas, je ne penserai rien :
Mais l’amour infini me montera dans l’âme,
Et j’irai loin, bien loin, comme un bohémien,
Par la Nature, — heureux comme avec une femme.

(Arthur Rimbaud)


"Sie waren das berühmteste männliche Liebespaar der Literaturgeschichte [...]

„Ich bin entfremdet, entwurzelt, wütend, dumm, umgekippt. Ich hoffte auf Sonne, unendliches Wandern, Reisen, Abenteuer, Bohème-Leben.“ Auf dem Platz vor dem Bahnhof steht eine Skulptur von Rimbaud, umgeben von Tafeln im Asphalt mit Auszügen aus seinen Gedichten. Dass man diesen Ort für eine Hommage ausgewählt hat, kommt nicht von ungefähr. Denn hier bestieg Rimbaud als Sechzehnjähriger den Zug, um sich heimlich in Richtung Paris aufzumachen. Es war die erste seiner vielen Fluchten und brachte ihm, da ohne Fahrschein unterwegs, gleich eine Festnahme und eine Geldstrafe ein.

Eine Ironie der Geschichte

Das Musée Arthur Rimbaud ist in einem der prachtvollsten Gebäude von Charleville-Mézières untergebracht. Die alte Mühle am Ufer der Maas, die mit ihren barocken Säulen eher an ein kleines Schloss erinnert, wurde 1626 von Prinz Charles de Gonzague, dem einflussreichen Neffen König Heinrichs IV., errichtet, der die nach seinem Vornamen benannte Stadt zu einem fortschrittlichen Handelszentrum ausbauen wollte. Als Krönung seiner urbanen Visionen gilt die Place Ducale, die mit ihren ockerfarbenen Pavillons und weiten Arkadengängen eine maßstabgetreue Kopie der berühmten Place des Vosges in Paris ist. [...]

Es wird dokumentiert, wie Rimbaud zu einer Art Popstar der Literatur wurde, obwohl er seiner rebellischen Dichtkunst lediglich fünf Jahre seines Lebens widmete. Gezeigt werden Werke von berühmten Künstlern, die dem literarischen Umstürzler gehuldigt haben. Pa­blo Picasso, Alberto Giacometti und Fernand Léger haben sein trotziges Gesicht skizziert, Jean Cocteau hat sein berühmtestes Werk „Le Bateau ivre“ (Das trunkene Schiff) mit Wellen und Fischen illustriert. Und an den Wänden stehen in großen Lettern einige von Rimbauds surrealistischen Kernsätze, etwa „Je est un autre“ (Ich ist ein anderer) oder „L’ennui n’est plus mon amour“ (Langeweile ist nicht mehr meine Liebe).

Auf dem Bürgersteig vor dem Museum hat man „chaise-poèmes“ installiert, Stühle mit Versen des Dichters – sich mit dem Hintern auf Poesie setzen, das hätte dem Provokateur Rimbaud gefallen. Auf der anderen Straßenseite steht das Haus, in dem die Familie Rimbaud, die wegen dauernder Streitigkeiten mit den Nachbarn oft umgezogen ist, von 1869 bis 1875 lebte. Diese Maison des Ailleurs, das Haus von Anderswo, ist den rastlosen Reisen Rimbauds gewidmet. Geräuscheffekte lassen das Tuten der Schiffe in den Häfen erklingen, das Feilschen auf orientalischen Märkten, das Getrampel von Kamelkarawanen. Die Besucher gehen auf Holzböden, auf denen man Karten gezeichnet hat, die die fluchtartige Odyssee des „Mannes mit den Windsohlen“ dokumentieren.

Nachdem Paul Verlaine 1873 in Brüssel nach durchzechter Nacht auf seinen Liebhaber geschossen, ihn leicht am Handgelenk verletzte hatte und dafür zwei Jahre lang in ein belgisches Gefängnis musste, war die tumultuöse Beziehung zu Ende. Genauso radikal machte Rimbaud daraufhin Schluss mit der Literatur und veröffentlichte nie mehr ein Werk. Dafür drängte es ihn fort von der Heimat. Er ging zu Fuß über den Gotthard nach Italien, wurde Söldner in der niederländischen Kolonialarmee auf Java, wo er bald desertierte, zog als Hilfskraft mit einem Wanderzirkus durch Skandinavien, beaufsichtigte einen Steinbruch in Zypern, handelte mit Kaffee, Tierhäuten, Parfums und Waffen in Äthiopien, Somalia und im Jemen. [...]"

https://www.faz.net/aktuell/reise/arthur-rimbaud-und-paul-verlaine-in-ardennen-schwul-wild-und-genial-19009944.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2 FAZ 7.7.23

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