Montag, 24. Juli 2023

Franz Werfel: Lächeln, Atmen, Schreiten


                   Lächeln, Atmen, Schreiten 



Schöpfe du, trage du, halte


tausend Gewässer des Lächelns in deiner Hand!


Lächeln, selige Feuchte ist ausgespannt


all übers Antlitz.


Lächeln ist keine Falte,


Lächeln ist Wesen vom Licht.


Durch die Räume bricht Licht, doch ist es noch nicht.


Nicht die Sonne ist Licht,


erst im Menschengesicht


wird das Licht als Lächeln geboren.


Aus den tönenden, leicht, unsterblichen Toren,


aus den Toren der Augen wallte


Frühling zum erstenmal, Himmelsgischt,


Lächelns niederglühender Brand.


Im Regenbrand des Lächelns spüle die alte Hand,


schöpfe du, trage du, halte!



Lausche du, horche du, höre!


In der Nacht ist der Einklang des Atems los,


der Atem, die Eintracht des Busens groß,


Atem schwebt


über Feindschaft finsterer Chöre.


Atem ist Wesen vom höchsten Hauch.


Nicht der Wind, der sich taucht


in Weid', Wald und Strauch,


nicht das Wehn, vor dem die Blätter sich drehn ...


Gottes Hauch wird im Atem der Menschen geboren.


Aus den Lippen, den schweren,


verhangen, dunkel, unsterblichen Toren,


fährt Gottes Hauch, die Welt zu bekehren.


Auf dem Windmeer des Atems hebt an,


die Segel zu brüsten im Rausche,


der unendlichen Worte nächtlich beladener Kahn.


Horche du, höre du, lausche!



Sinke hin, knie hin, weine!


Sieh der Geliebten erdenlos schwindenden Schritt!


Schwinge dich hin, schwinde ins Schreiten mit!


Schreiten entführt


alles ins Reine, alles ins Allgemeine.


Schreiten ist mehr als Lauf und Gang,


der sternenden Sphäre Hinauf und Entlang,


mehr als des Raumes tanzender Überschwang.


Im Schreiten der Menschen wird die Bahn der Freiheit geboren.


Mit dem Schreiten der Menschen tritt


Gottes Anmut und Wandel aus allen Herzen und Toren.


Lächeln, Atem und Schritt


sind mehr als des Lichtes, des Windes, der Sterne Bahn,


die Welt fängt im Menschen an.


Im Lächeln, im Atem, im Schritt der Geliebten ertrinke!


Weine hin, knie hin, sinke!

(Franz Werfel)

Rezitation des Gedichts durch Franz Werfel (mp3)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Conrad Ferdinand Meyer: Die Füße im Feuer

  Wild zuckt der Blitz. In fahlem Lichte steht ein Turm.  Der Donner rollt. Ein Reiter kämpft mit seinem Roß,  Springt ab und pocht ans Tor ...