Dienstag, 31. Oktober 2023

Keller: Sooft die Sonne aufersteht

Morgen

So oft die Sonne aufersteht, Erneuert sich mein Hoffen Und bleibet, bis sie untergeht, Wie eine Blume offen; Dann schlummert es ermattet Im dunklen Schatten ein, Doch eilig wacht es wieder auf Mit ihrem ersten Schein. Das ist die Kraft, die nimmer stirbt Und immer wieder streitet, Das gute Blut, das nie verdirbt, Geheimnisvoll verbreitet! Solang noch Morgenwinde Voran der Sonne wehn, Wird nie der Freiheit Fechterschar In Nacht und Schlaf vergehn!

Gottfried Keller (1819 - 1890), Schweizer Dichter und Romanautor

Quelle: Keller, G., Gesammelte Gedichte. I. Buch der Natur

in Gesammelte Gedichte (Historisch kritische Ausgabe)

Samstag, 28. Oktober 2023

Coleridge als 22-Jähriger über Schillers Räuber

 

Samuel Taylor Coleridge: „An den Verfasser der Räuber“

Schiller! ich hätte sterben wolln zur Stund,
Hätt ich den Schrei durch Schauernacht gejagt
Vom dunklen Turmgefängnis zeitzernagt
Aus jenes Vaters ausgezehrtem Mund –
Damit nicht dereinst etwas Mindres mich
Als sterblich stemple! Ruf so triumphal
Vom Finstren Graun – sein Koboldpersonal
Verschüchtert vom verblassten Schauplatz wich!
Ach! Könnt ich dich nur hochgemut entrückt,
Du Barde der Erhabenheit, erspähn,
Beim Schweifen spät, das Auge leicht verrückt,
Im weiten alten Wald, wenn Stürme wehn!
Sinnen würd ich, voll stummer Ehrfurcht sehn:
Dann würd ich lautstark weinen, wild verzückt!

To the Author of the Robbers

Schiller! that hour I would have wish‘d to die,
If thro' the shuddering midnight I had sent
From the dark dungeon of the Tower time-rent
That fearful voice, a famish‘d Father's cry -
Lest in some after moment aught more mean
Might stamp me mortal! A triumphant shout
Black Horror scream‘d, and all her goblin rout
Diminish‘d shrunk from the more withering scene!
Ah! Bard tremendous in sublimity!
Could I behold thee in thy loftier mood,
Wandering at eve with finely-frenzied eye
Beneath some vast old tempest-swinging wood!
Awhile with mute awe gazing I would brood:
Then weep aloud in a wild ecstasy!

Frankfurter Anthologie der FAZ 22.9.23

Conrad Ferdinand Meyer: Die Füße im Feuer

  Wild zuckt der Blitz. In fahlem Lichte steht ein Turm.  Der Donner rollt. Ein Reiter kämpft mit seinem Roß,  Springt ab und pocht ans Tor ...